
Dieses Thema ist momentan auch ein Thema, was sehr zu meinen gesamten Gemütszuständen beiträgt. Im August dieses Jahres war es so weit, der erste Urlaub mit der ganzen Familie stand an. Der erste Urlaub, der nicht an die Ostsee geht, der erste Urlaub für meine Eltern seitdem Sie im „Westen“ leben und der erste Urlaub seit seeeehr lange Zeit „im Ausland“. Ich habe mich sehr darauf gefreut, denn auch der erste Urlaub als Familie samt meinem Bruder. Der erste Urlaub seit 3 Jahren als der ganze Covid Wahnsinn losging.
Doch dann kam die Realität!!!!
Um zu verstehen, warum ich manche Sachen so betone oder in „“ setze, muss ich zurück in meine Kindheit. Erst, wenn man seine eigenen Wurzeln versteht, versteht man auch manchmal das System in welchen man lebt. Die Frage ist nur, was mache ich mit dem Wissen? Wie gehe ich damit um?
Geboren bin ich 1985, da stand noch die Mauer. Ich sage immer, davon habe ich nichts mitbekommen, war noch zu klein. Aber, ich muss sagen, weit gefehlt.
Mag sein, dass ich von dem politischen System, den Regeln in der Form nichts bewusst mitbekommen haben, aber meine Eltern, meine Familie. Meine Mutter und mein Bruder sind in diesem System aufgewachsen.
Meine Mutter hat Armut und Frust miterlebt und das an ihre Kinder weitergegeben. Ich würde sagen, mir hat es an nichts gefehlt. Denn für unserer Verhältnisse würde ich sagen, hatten wir alles, was wir brauchen.
Meine Mutter war alleinerziehend (da mein Vater uns früh verlassen hat in zweierlei Hinsicht. Er zog er weg, weil meine Mutter für einen „Säufer“ nichts übrig hatte und zum anderen nahm er sich das Leben) und ich war als Nachzügler dann nochmal mit Ende 30 eine große Herausforderung. Mein Bruder und meine Schwester sind um einiges älter, daher war das schon von Haus aus eine spannende Kombination.
Ich lernte früh zu funktionieren, wertvoll zu sein, wenn man Leistung bringt und nur so überleben zu können. Man lebte mir das Überleben vor, nicht das Leben. Aber woher sollt meine Mutter es besser wissen? Sie wurde auch von einem Leistungsdruck geprägt, einer strengen Mutter und den Umständen und Erfahrungen der Nachkriegszeit.
Wenn ich das so schreibe, und lese, merke ich wie mir die Tränen in die Augen steigen. Das so auszusprechen ist heftig für mich.
Bitte versteht mich nicht falsch, ich gebe meinen Eltern keine Schuld, aber es sind nun mal Tatsachen, die mich und mein Leben prägen. Und komm da mal mit Ende 30 wieder raus, wenn du es nie anders gelernt hast.
Ich muss sagen, ich habe mir durch meine Gestalttherapie viele dieser Themen bewusst gemacht und auch einiges liebevoll annehmen können. Auch konnte ich meine Mutter behutsam auf gewisse Themen ansprechen und sie dafür sensibilisieren.
Man muss dazu sagen, meine Mutter glaub an so einen „Quatsch“ nicht, aber das ist auch nicht schlimm. Sie ist zumindest offener dafür, da sie merkt, dass es mir gut geht.
Ich bin mit 16 ausgezogen und begann mein eigenes Leben. Mein erster „Befreiungsschlag“ aus dem Überlebens-Hamsterrad. Ich machte meine eigenen Erfahrungen und begann mich mit meinen Wurzeln zu beschäftigen.
Nach vielen und langen Gesprächen habe ich meine Eltern dazu gebracht in meine Nähe zu ziehen. Was Sie auch letztes Jahr gemacht haben.
Das ist nicht zu unterschätzen, nach 75 Jahren aus der Heimat zu gehen. Ich bin dankbar für ihr Vertrauen, aber zack bin ich im nächsten Hamsterrad.
Ich glaube, ich reagiere oft so emotional, weil ich ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle habe, dass sie sich entwurzelt fühlen.
Dieses Gefühl ist aber aus meiner Sicht der falsche Antrieb. Ich würde sagen Ihnen geht es um so vieles besser, aber das ist halt nur mein Empfinden, um mir auch meine negativen Gefühle klein zu reden.
Aber ebenso wenig wie man mir meine Gefühle kleinreden kann, kann ich das nicht für meine Eltern.
Wenn Sie nun mal so empfinden, selbst bei allen positiven Veränderungen, dann empfinden Sie nun mal so. Das muss auch ich akzeptieren.
Ich merke sehr oft aus meinen Handlungen heraus, dass ich vieles aus den oben benannten Gefühlen mache, so auch die Idee des Urlaubes.
Ich wollte meinen Eltern unbedingt beweisen, wie viel besser es hier ist.
Wie viel schöner Italien im Vergleich zu Ostsee ist. Ich merke, wenn ich das so schreibe, es ist meine Wahrnehmung. Und ich glaube auch meine Mum hat dem zugestimmt, weil Sie mir einen Gefallen tun wollte. So schließt sich wieder der Kreis.
Mit dem Wissen es wird ihr zu warm sein, und ihm (meinen Stiefvater) zu anstrengend, buchte und plante ich den Urlaub.
Natürlich hat jeder seine Wehwehchen und man kennt ja die Macken des anderen, aber dennoch habe ich ganz fest daran geglaubt, das wird schon.
In der Tat liefen die Vorbereitungen und die Anreise bis auf 7 Stunden mehr Fahrt als geplant ganz gut. Alle waren frohen Mutes und wirkten mal oberflächlich gut gelaunt. Die ersten Strapazen ließen allerdings nicht lange auf sich warten.
Schon bei Ausladen und Ankommen macht sich das Wetter und die lange Fahrt bemerkbar. Sofort griff ich zum Wasser und versuchte alle aufzufangen. Mein Stiefvater schien es nicht gut zugehen. Dann gab er zu, dass er fast 13 Stunden lang nichts getrunken hatte, aus Angst auf Toilette zu müssen. Er selbst empfand seinen Zustand nicht so schlimm, aber ein Blick reichte, um das einzuschätzen.
Nicht umsonst bin ich Fachkraft und schon hier stieß ich auf die ersten Hürden, beratungsresistente Familie und nicht helfende Angehörige.
Natürlich ist es für die andere Seite nicht einfach, Hilfe anzunehmen. Das verstehe ich schon, aber ich will doch nur, dass alle den Urlaub genießen können. Die ersten Tage liefen gut an und alle waren so weit zufrieden.
Ausflüge und Unternehmen wurden Senioren entsprechend geplant, aber die erneute Unzufriedenheit ließ nicht lange auf sich warten.
Es zeigte sich, dass sie doch zu sehr in ihren Verhaltensmustern festgefahren sind.
Was zu Hause gut funktioniert, führte jetzt im Urlaub dazu, dass sie an ihre Grenzen kamen.
Die dabei entstandenen Ängste wurden durch Festhalten an Gewohntem, ‚Was, die haben hier nicht die Margarine xxx‘ oder ‚Die Fernsehsender stimmen ja gar nicht und die sprechen auch nicht immer deutsch‘ bekämpft.
Dazu kam das falsche Einschätzen ihrer körperlichen Fähigkeiten ‚Dass wir so weit laufen müssen, hast du nicht gesagt‘
Unterm Strich hörte ich immer, dass alles Scheiße ist und dass man ja nichts von Italien sehen würde. Ohne dass sie bemerkten, dass es an ihren eigenen Verhalten liegt, dass dieser Zustand so ist.
Und Leute, ich sage euch ganz ehrlich, das kotzt mich so richtig an.
Dass meine Familie das einfach nicht wahrnimmt, selbst, wenn man sie ganz konkret darauf anspricht.
Die restlichen Tage verliefen, wie zu erwarten war, mehr recht als schlecht.
Zum Schluss besuchte uns ein Virus, dessen Namen wir hier nicht nennen möchten, dieser aber dazu führte, dass wir unseren Urlaub frühzeitig beenden mussten.
Wieder in Deutschland angekommen, durfte ich mich um alle Erkrankten kümmern und stellte wieder die Ignoranz und Beratungsresistenz meiner Familie fest.
Man ist ja nur erkältet!!!!
Natürlich waren sie dankbar, aber dennoch fragt keiner danach, wie es mir geht, was auch dazu führt, dass meine Anspannung stieg.
Undiplomatisch habe ich das dann auch meiner Familie mitgeteilt.
Bei meiner Mutter schien ein Umdenken passiert zu sein. Sie zeigt mir nun öfters, dass Sie an mich denkt und fragt auch gezielter nach meinem Wohlbefinden und das nicht nur als Floskel.
Aktuell gab es wieder eine Situation, die mich an meine Grenzen bringt, da es meiner Mutter nicht gut ging und sie auch kurz uns KH musste.
Auch hier ärgert mich wieder sehr ihr Verhalten, dass alles ja nicht so schlimm sei.
Sie hat sich selbst entlassen, und meint auch erst Ende des Monats zum Arzt zu gehen.
Hier bin ich wieder im Spagat zwischen Verständnis und Unverständnis. Zwischen Fachlichkeit und Emotionen. Akzeptanz und Genervtheit.
Der Spagat ist echt heftig. In meinem Arbeitsleben bin ich die professionelle Fachkraft, die Tipps und Ratschläge an pflegende Angehörige weitergibt. Die Angehörige auch auf emotionaler Ebene abholt. Nach Feierabend bin ich dann aber genau wie diese Angehörige, die ich vor wenigen Stunden beraten habe. Und doch steh’ ich gefühlt in einem Wald mit vielen Bäumen.
Hier kann ich mein Titelbild aufgreifen, eigentlich habe ich den Schlüssel in der Hand und ich versuche ich das Problem mit einer Säge zu lösen.
Hier versuche ich folgende Technik:
Ich gehe aus der Situation raus und stelle mir das Szenario vor, mit fremden Personen. Ich frage mich dann, was ich als Fachkraft mir als Angehörigen raten würde. So hilft es mir, meine emotionale Verbundenheit abzulegen und sachlich auf meine Eltern zuzugehen.
Ich stelle auch fest, dass es meiner Familie hilft mich besser zu verstehen.
Dass sich meine Eltern nicht mehr ändern werden, aber ich ihnen sehr wohl mitteilen kann, was ihr Verhalten mit mir macht, mich verletzt ist eine Erkenntnis, die ich gewonnen habe.
Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich mit Ihnen habe, lasse zu, dass ich genervt bin und äußere gegenüber ihnen dieses auch.
Ich versuche es auch anzunehmen, dass ich nicht aus falschen „Schuldgefühlen“ à la ‚Sie könnten ja bald nicht mehr da sein‘, alles hinnehme oder alles für sie zu machen, auch wenn es meine Grenzen überschreitet.
Es ist sehr wichtig, grade bei der eigenen Familie die Grenzen klar zu ziehen.
Dies ist nicht immer leicht, das verstehe ich, vielleicht hilft dir bei einer ähnlichen Situation in der du emotional gefangen, bist der, Gedanke weiter
„Was würde ich meiner Freundin, meinem Freund raten?“
Denn:
ICH BIN ES WERT und DU BIST ES WERT.
In diesem Sinne… bleibt immer echt
Eure Tina